Erfahrungsbericht: Tagestour zur Geisterstadt Pyramiden auf Spitzbergen

Erfahrungsbericht: Tagestour zur Geisterstadt Pyramiden auf Spitzbergen

Letzten Sommer (im Juli 2023) hatte ich eine Woche lang die Inselgruppe Spitzbergen besucht. Dazu wählte ich keine Kreuzfahrt, sondern ließ mich für 6 Nächte in einem Hotel im Ort Longyearbyen nieder. Von dort unternahm ich dann verschiedene (Halb-)Tagesausflüge.

Die schönste davon war zweifelsohne die Bootstour in die „Geisterstadt“ Pyramiden. Geisterstadt in Anführungszeichen, weil die Stadt zwar im Jahr 2000 zunächst komplett verlassen wurde, sich mittlerweile aber wieder ein kleines Team um den Erhalt der Gebäude – und die Touristen dort – kümmert.

Nachfolgend ein ausführlicher Bericht des Tagesausfluges.

Möchte ich wirklich nach „Russland“?

Während ganz Spitzbergen völkerrechtlich zu Norwegen gehört, so gibt es dort weiterhin zwei russische Siedlungen. In Pyramiden wurde der Kohleabbau beendet, dafür kümmert sich das russische Staatsunternehmen Arktikugol (Wiki) nun um die touristischen Aktivitäten. In Barentsburg (das ebenfalls besucht werden kann), wird sogar weiterhin Kohle gefördert.

Das hat bis vor wenigen Jahren kaum jemanden gestört und die Orte sogar umso spannender gemacht. Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine ist Skepsis angebracht. Möchte man wirklich Russland unterstützen, während es seinen Krieg in der Ukraine fortführt?

Nein, möchte ich definitiv nicht. Aber ich hatte mir den Ort Pyramiden schon vor längerer Zeit auf die Bucket List gesetzt und wusste, dass es definitiv eines der Highlights vor Ort sein würde.

Gemäß der Mitarbeiter in Pyramiden bleibt alles Geld, das dort ausgegeben wird, vor Ort, und dient dann dem Erhalt der dortigen Infrastruktur. Demnach fließt kein Cent nach Russland. Ich bin geneigt, das zu glauben, denn kostendeckend dürfte das Touristengeschäft dort ohnehin nicht sein. Aber höhere Einnahmen dort könnten bedeuten, dass der russische Staat weniger Geld dazu schießen muss.

Für mich habe ich jedenfalls entschieden, auf diesen Teil der Reise nicht verzichten zu wollen. Und irgendwie ist es ja auch richtig, dass der Ort etwas gepflegt wird, statt ganz dem Verfall freigegeben.

Um ein etwas besseres Gewissen dabei zu haben, habe ich im Anschluss die russischen Einnahmen durch mich (Führung vor Ort + Souvenirs) in gleicher Höhe an die Ukraine gespendet.

Diese Anbieter fahren weiter nach Pyramiden

Zahlreiche Touren und Kreuzfahrten, bei denen Pyramiden früher zum Standard-Repertoire gehörte, laufen den Ort nicht mehr an, sondern höchstens noch im Fjord davor.

Normalerweise ist die Website Visit Svalbard eine gute Anlaufstelle, um nach Touren zu suchen. Für Pyramiden gilt dies allerdings nicht mehr. Denn alle Anbieter, die Touren mit irgendeiner Verbindung zu Russland anbieten, wurden von dort verbannt. Und wenn man die Geisterstadt betreten möchte, ist das zwangsläufig der Fall.

Mir sind (Stand Sommer 2024) folgende Anbieter bekannt, die Touren nach Pyramiden ermöglichen:

Zu beachten ist, dass ein Anlaufen von Pyramiden grundsätzlich nicht garantiert wird. Vor allem im Frühjahr und Herbst kann es vorkommen, dass ein Anlegen aufgrund der Eismassen nicht möglich ist. Dann kann man die Stadt nur vom Wasser aus sehen. Im Hochsommer ist das aber unproblematisch.

Shuttle und Bootsfahrt nach Pyramiden

Bei den Touren grundsätzlich inbegriffen ist die Abholung vom Hotel in Longyearbyen. Für die Abfahrt um 9 stand der Reisebus kurz nach 8:30 bei mir an der Funken Lodge. Von dort ist es nur eine kurze Fahrt bis zum Bootsanleger.

Ganz alleine waren wir nicht am Hafen. Direkt neben uns lag die TUI Mein Schiff 4 mit Platz für bis zu 2.500 Passagiere. Daneben wirkt die Polar Girl mit einer Kapazität von 90 Personen geradezu mickrig.

Ich war ganz froh, heute auf dem Weg nach Pyramiden zu sein. Denn 2.000 Touristen auf einmal verändern das Stadtbild doch ordentlich.

Auch, wenn 90 Passagiere für so ein kleines Schiff erstmal nach recht viel klingt, verteilen sich die Gruppen ziemlich gut. Es gibt mehrere Außendecks, bei denen man es sich bei gutem Wetter gemütlich machen kann.

Gutes Wetter bedeutet in dem Fall: 12 Grad und Sonnenschein. Wenn dann noch der Fahrtwind aufkommt, wird es schon etwas frisch mit T-Shirt, Pullover und (in meinem Fall) dünner Jacke. Für die Frostbeulen stehen Decken zur Verfügung – und gut gefütterte Hosen und Jacken, in denen man aussieht wie ein Handwerker.

Natürlich gibt es auch zahlreiche Sitzplätze im Inneren. Einige Passagiere spielten hier mit Karten, andere sortierten die Fotos. Ich selbst habe mich aber fast die ganze Zeit auf dem Oberdeck aufgehalten. Man möchte ja die Vorbeifahrt am Gletscher und manch andere Überraschung nicht verpassen.

Wir verließen zunächst das Adventdalen mit dem Ort Longyearbyen und machten uns dann auf Kurs nach Norden Richtung Pyramiden. Die Stadt liegt rund 50 Kilometer von Longyearbyen entfernt und so dauert die Fahrt dorthin knapp drei Stunden.

Fjorde rund um Longyearbyen und Pyramiden (© OpenStreetmap-Mitwirkende / UMap)

Langweilig wird es dennoch nicht. Die kahlen, grauen Hügel mögen irgendwann etwas öde werden. Aber irgendwo ist hier eigentlich immer ein Gletscher sichtbar. Und ansonsten kann man sich ja immer noch mit den Mitreisenden unterhalten.

Und als wäre das noch nicht genug, wurden wir weniger als eine Stunde nach der Abfahrt auf eine Gruppe Finnwale direkt neben dem Boot hingewiesen. Ein tolles Erlebnis (das aber 6 Monate später in der Antarktis noch deutlich getoppt wurde).

Auf dem Schiff gibt es übrigens eine Strichliste, in der die Anzahl an Tiersichtungen vermerkt wird. Finnwale scheinen demnach sehr selten zu sein, mit nur drei Sichtungen innerhalb von zwei Monaten:

Begleitet von dem einen oder anderen Vögel ging es dann irgendwann weiter Richtung Pyramiden. Wir machten unter anderem Bekanntschaft mit einigen Raubmöwen und Papageientauchern (Puffins). Die sind nur etwa taubengroß und daher nicht so gut einzufangen. Aber man kann den bunten Schnabel erahnen.

In der Entfernung waren auch drei Walrosse auszumachen. Es gibt Schlauchboot-Touren, die deutlich näher heranfahren. Aber als Beifang der Pyramiden-Tour muss folgender Schnappschuss reichen. Die säbelartigen Zähne sind gut zu erahnen:

Immer mal wieder sind ein paar kleine Häuser an der Küste auszumachen – man fragt sich, wozu die wohl genutzt werden. Ich verspüre jedenfalls keinen Drang, mich ins Innere des Schiffes zurückzuziehen und bleibe die ganze Zeit draußen.

Nach zweieinhalb Stunden (es ist 11:30) schwindet dann langsam das Mobilfunknetz, dafür kam das Ziel in Sichtweite. Hier ist schon ganz gut zu erahnen, wieso der Ort Pyramiden heißt: Ursächlich ist der Berg, deren Form entfernt an eine Pyramide erinnert.

Die Überreste der alten Kohlemine sind noch klar auszumachen. Und auch die schwarzen Flecken am Berghang zeugen von der Historie des Bergbaus:

Weiter rechts ist der Pier zu erkennen, an dem wir bald anlegen werden:

Der alte Holzpier ist nach all den Jahren ziemlich heruntergekommen. Als Ruine erhalten sind das alte Kohleförderband und ein mobiler, ebenso wenig funktionstüchtiger, Kran:

Stadtführung durch Pyramiden

Insgesamt zwei Stunden haben wir, um uns Pyramiden anzuschauen. Dazu werden wir in zwei Gruppen aufgeteilt und steigen – mit örtlichem Guide – in einen russischen Kleinbus.

Mit gefühlt 20 cm Sitzabstand ein sehr authentisches Erlebnis. Die Fahrt ist aber zum Glück nicht lang und nach 5 Minuten dürfen wir eine Runde durch den Ort spazieren.

Einige Gebäude im Ort wurden schon vor vielen Jahren gesprengt. Andere wurden einfach dem Schicksal überlassen, sodass sich nun die Möwen über eine Nistmöglichkeit freuen. Und wieder andere hat man für Touristen oder Mitarbeiter instand gesetzt.

Die Möwen haben die Fensterbänke für sich entdeckt

Über allem prangt der Spruch Mиру Мир, übersetzt etwa „Frieden für die Welt“, mittlerweile mit englischer Übersetzung. Schon etwas ironisch in aktuellen Zeiten. Man fragt sich, was die Bewohner wohl über die russische „Friedensmission“ denken, hakt dann aber doch lieber nicht so genau nach.

Plattenbauten kenne ich aus Rostock genug. Spannender sind die repräsentativen Gebäude der Stadt, die noch einigen Sowjet-Charme versprühen. Hinter einem unspektakulären Eingang versteckt sich die reich verzierte und früher gut besuchte Kantine:

Die meisten Gebäude hier sind schon aufgrund der Lage vom Vandalismus verschont geblieben. Und so wirkt auch die Küche, als wäre sie fluchtartig verlassen worden. Früher haben hier mal die mehr als 1.000 Einwohner (vor allem Russen und Ukrainer) gespeist. Ich war noch nie in Tschernobyl, stelle es mir dort aber ähnlich vor.

Durch den Ort darf man eigentlich (wegen der Eisbären) nur mit Waffe laufen. Daran scheint sich nicht jeder zu halten. Ich bleibe dennoch lieber in der Nähe der Guides.

Auf dem Weg zum alten Schwimmbad begegnen wir zwar keinen Eisbären, aber einer Gruppe Rentiere:

Im Schwimmbad gönnt man uns wieder zwei, drei Minuten Aufenthalt, um die Atmosphäre auf uns wirken zu lassen. Interessant zu sehen, aber irgendwie auch etwas bedrückend:

Danach steht das wohl berühmteste Fotomotiv von Pyramiden an: die örtliche Lenin-Büste, die immer noch ein waches Auge über den ganzen Ort hat. Eine sehr malerische Szenerie mit dem Gletscher im Hintergrund.

Hier – dank Tele-Zoom – noch ein etwas besserer Blick auf den Gletscher im Hintergrund:

Weiterhin in Schuss gehalten wird der Kulturpalast. Wir bekommen aus den Lautsprechern dort etwas Sowjetmusik vorgespielt. Leider ist niemand anwesend, der das nördlichste Piano der Welt für uns bespielt.

Im gleichen Gebäude gibt es auch noch:

  • ein kleines Café mit Souvenirshop
  • alte Videoprojektoren (Wahnsinn, wie groß die waren) mit passendem Propagandamaterial
  • ein kleine Sporthalle, die aussieht, als würde sie noch regelmäßig benutzt

Insgesamt hatten wir gut eine Stunde Zeit für die Stadtführung und konnten uns danach 30 Minuten im Kulturpalast aufhalten.

Dann steht noch ein letzter Fotostopp an: Mit dem mittlerweile vertrauen Bus geht es zum Ortsschild Pyramidens

Kurz vor 15 Uhr sind wir wieder am Schiff angekommen. Der nächste Zwischenstopp ist dabei schon in Sichtweite. Vor der Heimfahrt nach Longyearbyen werden wir uns noch den Nordenskjöld-Gletscher aus der Nähe ansehen. Der liegt am anderen Ende des Fjordes, rund 7 Kilometer entfernt.

Weiter zum Nordenskjöld-Gletscher (und Mittag)

Auf dem Schiff riecht es schon nach Mittagessen. Das ist im (saftigen) Preis der Tour inbegriffen und reichhaltiger als gedacht. Es gibt für jeden Passagier ein Stück Lachs vom Grill, und dazu unbegrenzt Brot, Reis und Salat vom Buffet. Man spart sich also zumindest rund 20€, die man sonst fürs Mittagessen ausgeben müsste.

Gestört wird das Mittagessen durch eine Gruppe Belugawale. Ich habe leider keine Kamera, sondern nur mein Smartphone dabei, aber man kann die Wale auch schon mit bloßem Auge erahnen.

Umso besser ist nun die Stimmung für die Fahrt zum Gletscher. Der Kapitän hält leider einen sehr großzügigen Sicherheitsabstand von über 500 Metern – näher ran kamen wir nicht:

Mit 5-facher Vergrößerung wirken die Aufnahmen dann deutlich dramatischer als das Erlebnis selbst.

Wir stehen 10 Minuten hier und lassen die Szenerie auf uns wirken. Dann geht es – vollgepackt mit Eindrücken – wieder zurück in die „Hauptstadt“ Spitzbergens.

Rückfahrt nach Longyearbyen

Wir sind alle ziemlich erschöpft und viele Passagiere mittlerweile doch dankbar für die warmen Sitzgelegenheiten im Inneren. Nur ein Eisbär könnte jetzt wohl nochmal jeden aufs Außendeck locken.

So weit kommt es nicht, aber einen unerwarteten Zwischenstopp gibt es dann doch noch. Wir nehmen eine Gruppe Kajakfahrer bei uns auf, die auf halbem Weg zwischen Pyramiden und Longyearbyen vor uns kreuzt. So finden auch die letzten Reste des Mittagsbuffets noch ihre Abnehmer.

Kurz vor Longyearbyen fahren wir noch langsam an der Birdnesting Cliff vorbei und bekommen unter anderem noch einmal Papageientaucher zu sehen.

Durch den ungeplanten Zwischenstopp hat sich die ganze Tour etwas in die Länge gezogen. Statt wie geplant um 19 Uhr kommen wir erst nach 20 Uhr wieder in Longyearbyen an. Die Mein Schiff 4 liegt immer noch hier. Aber vom heutigen Trubel hier habe ich rein gar nichts mitbekommen.

Fazit

Ich bin froh, die Tour nach Pyramiden trotz der moralischen Bedenken angetreten zu haben. Diese Zeitreise zurück in Sowjet-Zeiten war rückblickend das eindrücklichste Erlebnis meiner 6-tägigen Spitzbergen-Reise. Und verglichen mit anderen Aktivitäten wirken die knapp 200€ dafür gar nicht so überzogen.

Nun verbleibt noch das Forschungszentrum Ny-Ålesund auf der Bucket List. Das liegt noch einen Tick weiter nördlich und lässt sich auch per Tagestour erreichen. Nur ist die mit fast 500€ ungleich teurer.

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